Linsenviertel (Altes Spital)
Die Gasse neben dem Fachwerkhaus Kirchgasse 17 führt hinab in das Linsenviertel. Das heute entkernte (aufgelockerte) Quartier lässt aber dennoch gut seinen ursprünglichen Charakter erkennen: ein Gewirr von engen Gässchen, Treppen, Winkeln und einfach gebauten kleineren Gebäuden. Es war früher das Viertel der sozial niedriger gestellten Leute, der Taglöhner, Arbeiter, Kleinhandwerker und Kleinbauern. Vielleicht lässt sich der Name „Linsenviertel“ aus dieser sozialen Wohnstruktur ableiten. Das Linsengericht war früher ein typisches Essen der einfachen Leute.
Am Eingang zum Linsenviertel steht das zu Beginn des 18. Jahrhunderts erbaute „Alte Spital“. Hier war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die städtische Krankenanstalt untergebracht, bis 1895 am Westrand der Stadt ein großes, repräsentatives Krankenhaus gebaut wurde. Der Spitalfonds, Stiftungen namhafter Eppinger Bürger, bildete die finanzielle Grundlage für diesen Bau. Später diente das „Alte Spital“ als sog. Armenhaus den sozial schwachen Bürgern als Wohnhaus.
„Un ebbes Bsunders“
Die Kinder der im Linsenviertel wohnenden Familien mussten schon in jungen Jahren bei der Beschaffung des Lebensnotwendigen mithelfen. Jeden Mittwoch und Samstag war früher „Holztag“, an dem die Buben der Familien, die kein Bürgerholz bekamen, im großen Eppinger Wald dürres Holz sammelten. Während der Ernteferien mussten sie auf den abgeernteten Äckern der Bauern Ähren lesen, um damit den größten Teil des Getreidebedarfs zu decken. Während der vierwöchigen Herbst- oder Kartoffelferien „stupfelten“ sie auf den abgeernteten Feldern Kartoffeln. Die meisten Taglöhner- und Arbeiterfamilien besaßen auch mindestens eine Ziege, die mit an Straßenrändern wachsendem Gras gefüttert wurde. Die Milch dieser „Kuh des armen Mannes“ stellte ein wichtiges Grundnahrungsmittel dar.
Das Linsenviertel wurde Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre dem damaligen Zeitgeist entsprechend „flächensaniert“. Leider wurde damit die kleinparzellige Siedlungsstruktur total zerstört. Nur noch wenig erinnert an das Quartier der einfachen Leute mit kleinen Häusern, Scheunen, Ställen, Treppen und Winkeln. Der orginal erhaltene Schweinestall mit Holzlege erinnert als bauliches Denkmal an diesen verschwundenen Teil der Eppinger Altstadt. Ein schriftliches Zeugnis an das Leben im Linsenviertel hinterließ Bäckermeister Adolf Heinzmann, der 1899 hier geboren wurde. Der folgende Auszug seiner Erinnerungen ist ein eindrucksvolles Stimmungsbild seiner Kindheit:
„Im Linsenviertel wohnten in damaliger Zeit nur: Arme, Kinderreiche, aber dennoch fleißige und rechtschaffene Leute. Das Geld war chronisch knapp, aber trotzdem wurden wir Kinder nach alter Tradition gut ernährt. Am Sonntag eine Laugenbrezel vom Bäckermeister Vollweiler für 3 Pfennig war eine Delikatesse. Auch ein geschenkter Apfel von der Nachbarin wurde mit freudiger Dankbarkeit quittiert. Im Sommer gingen wir barfuß. Das einzige Paar Schuhe für Sonntag und für Werktag bestand aus sehr hartem und steifem Rindsleder, dazu waren dieselben noch vom Meister Schellenschmitt und Meister Brandmeier bis zur Unkenntlichkeit verrüstert und mit Nägeln beschlagen. Obwohl wir Kinder in jener Zeit auf sehr vieles, was unsere heutige Wohlstandsgesellschaft als selbstverständlich betrachtet, verzichten mussten, hatten wir, wie schon erwähnt, im Essen keine Not. Dieses Essen bestand aus einfacher bäuerlicher Hausmannskost. Zu trinken gab´s Kathreiners Malzkaffee mit Ziegenmilch. Der in unmittelbarer Nähe an die Hilsbach sich anlehnende „Loh“ war für uns Buben ein sehr idealer Spielplatz. Eine große Freude war für uns Buben, wenn wir während der heißen Jahreszeit Samstag Abends die Pferde der Eppinger Bauern in die Hilsbach reiten durften. Gerne erinnere ich mich auch an die unterhaltsamen Sitzungen auf dem Brückengeländer der Hilsbach, wo an den schönen Sommerabenden die gut nachbarlichen Leute vom Linsenviertel ihre Sorgen und Nöte besprachen. Freudige Begebenheiten waren für uns Kinder auch die in Eppingen stattfindenden Jahrmärkte im Monat März und Oktober. Obwohl mit dem mit vielen Plagen und Bitten der Mutter entlocktem Zehner nicht viel zu kaufen war, hatten wir doch schon am Jahrmarktstrubel eine große Freude. An Kaisers und Großherzogs Geburtstag war schulfrei. Aus diesem Anlass sind dann immer die Vereine vor dem Rathaus zum Kirchgang angetreten, um anschließend konfessionell getrennt zu den beiden Kirchen zu marschieren. Auch dieses Schauspiel war für uns Kinder ein großes Ereignis. Inzwischen hat sich die Welt gewaltig verändert. Auch die Maßstäbe und die Einstellung zum Leben überhaupt haben sich verändert. Ob aber das heutige, gar so hemmungslose Streben nach dem Materiellen die Menschen glücklicher macht, das bezweifle ich. Auf alle Fälle möchte ich folgendes klar und deutlich machen: Trotz aller eigenen Erfolge war meine Kindheit, die ich unter den geschilderten Umständen im Eppinger Linsenviertel erlebte, die glücklichste Zeit meines Lebens."
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